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  • AutorenbildPetra Möller

Salz in die Wunde



Morgen ist mein 55. Geburtstag und ich habe mir ein Bild gemanscht. Ja, nicht gemalt, sondern in eine Wasserlache Farbreste gekleckst und Salz hinein gestreut. Ich habe fasziniert beobachtet was auf dem Blatt passiert, wie die Farben zerlaufen und sich durch das Salz neue Strukturen bilden. Hier und da nahm ich die Sprühflasche zur Hilfe, weil es so schön ist zu beobachten und zu fühlen.

Eine Wunde bedeutet für mich etwas Aufgebrochenes, etwas dass sich geöffnet hat und wenn man sprichwörtlich Salz hinein streut, dann brennt es fürchterlich. Und die Wunde wird um ein Vielfaches stärker wahrgenommen. Das ist gut, denn dann kann sich das Bewusstsein mehr darauf ausrichten und Wege in die Heilung beschreiten, sofern die Wunde nicht dazu dient, dauerhaft ein Opfer bleiben zu wollen. Salz in die Wunde zu streuen ist sehr schmerzhaft, aber es entsteht eine Alchemie, die die Wunde mit ein wenig Geduld tatsächlich in ein Wunder verwandeln kann.


Warum erzähle ich das? Morgen werde ich 55, ein Alter indem mein Vater sein Leben beendete. Damals, im Januar 1988, war ich 19 Jahre jung, in der 6. Woche schwanger, erschüttert, zutiefst verwundet und dennoch gleichermaßen voller Verständnis für die Entscheidung meines Vaters, dieses Leben, welches keins mehr für ihn war, selbstbestimmt zu beenden. Dennoch dachte ich lange, wenn ich ihm rechtzeitig von meiner Schwangerschaft erzählt hätte, dann würde er noch leben, weil die Freude auf ein Enkelkind neuen Lebensmut in ihm entfacht haben könnte. Schuld und Scham tauchten immer wieder auf.


Ich habe all das inzwischen in mir geheilt, Schicht für Schicht wie die Haut einer Zwiebel und bin nun vollständig im Frieden, mit seinem physischen Tod und ebenso mit mir. Meine Wunde hat sich insofern in ein Wunder verwandelt, dass ich beim Thema Suizid für beide Seiten tiefste Empathie ohne Urteil empfinden kann, für den Verstorbenen sowie auch für die Angehörigen. Es macht mir keine Angst, ganz tief einzutauchen. In meiner Arbeit durfte ich schon einige Male vermitteln, versöhnen und Frieden schaffen. Dafür bin ich dankbar. Das ist das Wunder, welches aus meiner Wunde hervorging.


Ein schweres Thema für einen Geburtstag? Nein, für mich nicht. Mein Vater hat mir das Leben geschenkt, ich trage so vieles weiter, was ihn ausgemacht hat. Ich finde immer mehr Ähnlichkeiten, je älter ich werde. Nicht äußerlich, aber in meinem Wesen. Und ich spüre, dass er stolz ist auf mich. Ich höre ihn manchmal lachen, wenn mir ein Witz oder typischer Ausspruch von ihm einfällt. Manchmal rieche ich plötzlich den Duft von frischen Holzspänen, die ich so liebte in seiner Werkstatt. Ich danke ihm, dass er mir seinen speziellen Humor und seine Kreativität vererbt hat, die Fähigkeit mich immer wieder neu zu erfinden. Und auch seine Ungeduld, seine „Hibbeligkeit“, denn die lässt mich nicht einschlafen.

Ich werde den Tag morgen feiern, mit meinen Lieben die gemeinsam mit mir auf der Erde herumhüpfen und mit denen im Herzen, die bereits gegangen sind.


Danke Papa, für mein Leben.

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